Darum bringt eine Trainerentlassung nichts
Die Fans von Bayer Leverkusen in der deutschen Fussball
Bundesliga werden den Titel von diesem Blog mit grossen Augen anschauen. Denn
durch eine Trainerentlassung haben sie Erfolg. Ist demnach meine These schon im
Eimer? Nein. Denn: Eine Trainerentlassung stoppt die Kontinuität. Und diese ist
entscheidend, wenn Teams erfolgreich sein wollen. Dazu müssen sie bereit sein,
Krisen zu überstehen. Wie Liverpool in England. Wie der FC Luzern in der
Schweiz. Wie der FC St.Gallen. Wie der EV Zug im Eishockey. Wie der SC
Freiburg. Oder wer noch die Kehrseite der Medaille lesen möchte: Wie der FC
Bayern München eben nicht, auch nicht der Hamburger Sport Verein, der FC Basel,
der FSV Mainz 05 oder Union Berlin, bei denen der Trainerwechsel rein gar nichts
verändert hat. Sie alle hatten keinen Mut, viel Druck und den Wunsch nach
schneller Veränderung.
Sportchefs in der Verantwortung
Um das Thema im Detail anzuschauen, gilt es zu sagen, dass bei jedem gut
strukturierten Verein kompetente Leute rund um einen Sportchef ein Team
zusammenstellen. Machen diese Leute einen guten Job, dann wird der Trainer nie
zur Debatte. Nicht bei einer Krise. Nicht bei einem Rückschritt. Gar nie. Wer
ein Team aufbaut, braucht viel Fingerspitzengefühl. Wie schaffe ich es, dass
ein gut ausgebildeter Spieler in meinem Team funktioniert? Wie fühlt er sich
wohl? Wie entwickelt sich ein eigener Junior best möglichst? Welche Schrauben
muss ich drehen, damit er seine Leistung regelmässig abrufen kann? Das sind
bloss einige Fragen, die ein Sportchef in einem Verein beantworten muss, wenn
er ein erfolgreiches Team zusammenstellt. Damit alles passt, muss akribisch
gearbeitet- und die wichtigste Position im Verein ideal besetzt werden.
Diejenige des Cheftrainers. Oder im gut strukturierten Team: Diejenige des
Trainerteams. Erfolgreiche Teams verfolgen klare Ziele: Spielerentwicklung.
Spielstil. Teamspirit. Spielkonzept. Dynamik. Alles muss passen. Dann beginnt
der Prozess. Und irgendwann kommen Herausforderungen. Immer. Und die Frage
lautet: Wie gehe ich damit um?
Rückschlag als Teil des Entwicklungsprozesses
Dieses «Herausfordernde» kann nach einigen Wochen eintreten oder nach einigen
Jahren. Das ist ein Teil des Prozesses, den man gemeinsam bewältigt. Ich nehme
sie mit in einen speziellen aber interessanten Vergleich: Eltern, die ihre
Kinder von der Kindheit über die Jugend bis zum Erwachsenwerden begleiten,
werden stets mit Herausforderungen konfrontiert und finden meist Lösungen. Wir
stellen uns nicht vor, was es auf den Sport übertragen bedeuten würde, wenn
diese «schwierige Phase» im Entwicklungsprozess bei jungen Menschen mit dem
Rauswurf enden würde. Genau das geschieht in Sportteams in denen
Entscheidungsträger keine Geduld haben. Wir bleiben beim Erwachsenwerden: Es
geht um einen ganz normalen Prozess, bei dem junge Erwachsene auf
Reibungsflächen stossen die zu Meinungsverschiedenheiten mit ihren Eltern
führen können. Zu Krisen. Also etwas ganz Normales und Natürliches. Genauso
normal, wie neu zusammengestellte Teams und ihre Trainer herausfordernde Wochen
und Monate erleben können, in denen der Erfolg ausbleibt und in denen es darum
geht, unterschiedliche Lösungsansätze näher anzuschauen und die richtigen
Schlüsse schliesslich umzusetzen. Das Beispiel vom Erwachsenwerden heisst auf
den Sport adaptiert nichts anderes, als dass ein Verein der gross werden will, auch
das Pubertieren überstehen soll und überstehen muss. Ist dies nicht der Fall
und wird der Trainer gewechselt, rutscht der Verein automatisch wieder in seine
Kinderschuhe und startet von vorne.
Bosse versagen und der Trainer muss gehen
Eingangs
habe ich einige Sportvereine erwähnt, die strategisch überragend arbeiten. So
auch der FC St.Gallen mit Trainer Peter Zeidler, der ähnlich viele Krisen
durchgemacht hat wie der FC Luzern mit Mario Frick und auch das grosse Liverpool
mit Jürgen Klopp. Jeder dieser drei Vereine hat am Trainer im Misserfolg
festgehalten und konnte mit derselben Besetzung wieder Erfolge feiern. Die
Tatsache, dass am Trainer in dieser schwierigen Phase festgehalten wurde,
zeigt, dass Kontinuität ein wichtiger Pfeiler in erfolgreichen Teams ist. Die
Märchen in der deutschen Fussballbundesliga mit Heidenheim und dem SC Freiburg
sind Resultate von Kontinuität. Es geht darum, Störfaktoren innerhalb von einem
Team frühzeitig zu erkennen und sie schnell zu eliminieren. Oder eben:
Erwachsen zu werden. Dass dazu ein neuer Trainer benötigt wird, ist nie der
Fall. Es sei denn, das Team verfolge nun ganz plötzlich eine ganz andere
Vereinsphilosophie und Strategie. Ist das der Fall, wäre dies ein Indiz von
einem grossen Wertekonflikt innerhalb des Vereins, was wiederum viele neue
Fragezeichen aufdecken würde. Aber: Dass ein Trainer das Problem ist, gibt es
nicht. Jeder Verein weiss alles über seinen Übungsleiter, bevor dieser seine
Unterschrift unter einen Vertrag setzt. In der Pflicht stehen die Bosse, die
einen Trainer verpflichten. Entlassen sie ihn, haben sie versagt, so einfach
tönt das. So einfach ist das.
Bayer Leverkusen - ein Märchen
Um meine These weiter zu stützen, wage ich noch einige Prognosen: Der FC Bayern
München wird auch in der Zeit nach Tuchel in der Bundesliga keine
Übermannschaft sein wie vor einigen Jahren. YB wird - gemessen an den Erfolgen unter
Trainer Raphael Wicky - einen grossen Rückschritt machen. Und: Unsere Schweizer
Eishockey-Nati wird unter Trainer Patrick Fischer bis und mit der Heim-WM mindestens
einmal ein Finalspiel erreichen. Dies deshalb, weil die Pubertätsphase mit
vielen grossen Herausforderungen gerade endet. Bleibt das «Märchen» von Bayer
Leverkusen mit Trainer Xabi Alonso, bei dem alles zu Gold wird, was er auf der
Fussballbühne anfasst. Seitdem er Übungsleiter ist, hat Leverkusen keine Krise
durchgemacht und träumt davon, noch vor dem Pubertieren Erwachsen zu sein und
mindestens einen Titel feiern zu dürfen. Interessant wäre es zu sehen, wie
Leverkusen die erste Krise mit Alonso meistern würde. Ich vermute, er wird den Verein
verlassen, bevor diese eintritt.