Granit Xhaka – Mentalitätsmonster und Winnertyp

Nati-Captain Granit Xhaka polarisiert. Meist mag man ihn oder man mag ihn nicht. Fakt ist, dass Xhaka einer der besten Fussballspieler ist, den die Schweiz je hatte. Daran ändert die missglückte Weltmeisterschaft in Katar nichts. Fakt ist auch, dass er sich immer wieder selber im Weg steht.
Die Geste mit dem Griff in den Schritt war falsch.
Das Tragen des Jashari-Shirts dumm und respektlos.
Die Tatsache, dass er als Nati-Captain nach dem Achtelfinal-Aus dem nationalen Sender SRF ein Gespräch verweigerte ist ein No-Go.

Damit schliesse ich die Xhaka-Kritik. Denn Xhaka ist ein Geschenk für den Schweizer Fussball. Ein Mentalitätsmonster. Kaum Fehlpässe auf dem Spielfeld. Stets omnipräsent. Ein Chef, der Verantwortung trägt. Das macht Granit bereits in seinen jungen Jahren. Ehemalige Mitspieler erzählen, dass er als 17-jähriger innerhalb der Mannschaft klar kommuniziert hat, wer wann Verantwortung tragen soll. Neben dem Fussballer Granit Xhaka fasziniert mich der Mensch Granit Xhaka. Wie er sich durchbeisst. Und wie reif er in all den Jahren als Mensch geworden ist. Wer jetzt den Mahnfinger hebt und die WM ins Spiel bringt mit der Angriffsfläche die der Nati-Captain dort geboten hat, den erinnere ich freundlich daran, dass der Rückschritt ein Teil des Entwicklungsprozesses ist. Ohne Ausnahme. Immer. Xhaka erlitt im Achtelfinale offensichtlich einen heftigen mentalen Rückschritt. Er wird ihn wegstecken. Zweifelsfrei. Denn er ist mental eine Maschine.

Rückblick. Als Granit mit 20-Jahren nach weniger als drei kompletten Saisons beim FC Basel zu Borussia Mönchengladbach wechselt, eckt er an. Bei Mönchengladbach läuft es damals sportlich nicht rund. Da lässt sich der Jungspund zur Aussage hinreissen, er sei es gewohnt Champions League zu spielen. Das kommt bei Mitspielern, Trainer und Staff nicht gut an. Mit diesem Satz fühlen sich einige Mitspieler vor den Kopf gestossen. Arroganz wird ihm vorgeworfen. Granit gewinnt eine wertvolle Erfahrung in Sachen Kommunikation und merkt schnell, dass diese Aussage nicht förderlich für sein Image ist. Granit muss anschliessend mehrere Monate unten durch. Zwischendurch spült es ihn auf die Ersatzbank. Trotzdem ist aus seiner Sicht stets klar: Ich beisse mich hier durch. Ich bleibe. Ich stopfe meinen Kritikern das Maul. Granit zeigt bald sein Potenzial, spielt sich in die Notizblöcke mehrerer Scouts und als er 2016 nach London zu Arsenal wechselt, ist er in Gladbach Kapitän und unbestrittener Leader. Diese Mentalität, sich durchzubeissen und Kritiker verstummen zu lassen, wird in England in einer ganz anderen Dimension auf den Prüfstand gestellt.

Wie in Deutschland ists für Xhaka auch in England ein kühler Start. Der Tiefpunkt: Eigene Fans pfeifen ihn aus und beleidigen ihn und seine Familie in den sozialen Medien aufs Übelste. Xhaka hat Angebote auf dem Tisch. Hertha Berlin und AS Rom sind sehr konkret. Doch er beisst sich wieder durch. Selbst wenn der neue Arsenal-Trainer Mikel Arteta grossen Anteil hat, dass Xhaka geblieben ist, geht Granit schlussendlich selber seinen Weg. Er bleibt sich treu. Zeigt Leistung und ist diesen Herbst von den Fans zum Spieler des Monats gewählt worden. Sein Höhepunkt: Im Derbysieg gegen Chelsea feierten ihn die eigenen Fans lautstark. Ein Szenario, das wenige Monate früher unvorstellbar schien. Xhaka beisst sich wieder durch. Er bleibt beim Verein trotz heftigem Widerstand. Und: Er gewinnt.

Neben den Qualitäten sich durchzubeissen, ist Granit enorm selbstkritisch. Das Symbol des Doppeladlers in Kaliningrad im WM-Spiel 2018 gegen Serbien bezeichnet er als Fehler. Damals bin ich selber im Stadion und spüre diesen unvergleichbaren Hass auf Xhaka und Co. In der Emotion aus dem Tor in der letzten Minute entsteht dieser Doppeladler. Für mich verständlich. Und trotzdem: Ein No-Go! Ein No-Go darum, weil Xhaka nach diesem Spiel blutleer ist. Kein Power gegen Costa Rica. Kein Drive, keine Dynamik gegen Schweden im Achtelfinale. Xhaka wird mehrere Monate später sagen, dass die ganze «Doppeladler-Affäre» ihm die gesamte Energie geraubt hat. Wie wohl jeder Nati-Spieler arbeitet Granit Xhaka seit Jahren mit seinem Mentaltrainer. Unzählige Stunden haben sie dieses Thema reflektiert und angesprochen. Tools sind erarbeitet worden, wie sich Xhaka verhalten wird, wenn am 2. Dezember 2022 das Serbien-Spiel an der WM in Katar ansteht. Einen Doppeladler konnten wir früh ausschliessen. Emotionen leiteten sein Verhalten dennoch in Phasen des Spiels. Identisch zur WM 2018 in Russland ist der erneut unfassbar schwache Auftritt im Achtelfinale gegen Portugal. Es ist offensichtlich, dass sich auch heuer Störfaktoren eingeschlichen haben. Welche es diesmal sind, wird sich in den kommenden Monaten bestimmt zeigen. Dennoch ist dieser Rückschritt ein weiterer Teil eines eindrücklichen Entwicklungsprozesses von Granit Xhaka, der mit seinem Verein Arsenal London in England die Tabelle anführt. Wetten, dass auch die Schweizer Nati noch einige Male seine helle Freude am umstrittenen Nati-Captain haben wird?