Sportler im Haifischbecken der Journis

Murat Yakin weht ein eisiger Wind entgegen. Seine Taktik wird hinterfragt und die Mentalitätsfrage wird gestellt. Dabei fängt die Ära von Muri als Nati-Trainer im vergangenen Sommer so gut an. Der Nachfolger von Vladimir Petkovic schafft die WM-Quali und lässt Europameister Italien hinter sich. Die Schweiz feiert ihren neuen Fussballhelden und freut sich, in Katar an der Fussball-WM Geschichte zu schreiben. Dieses Gefühl erleben wir vor wenigen Monaten. Nach vier sieglosen Spielen im Jahr 2022 hat der Wind gedreht. Yakin wird kritisiert. Es wird über Mentalität diskutiert. Eine grosse Zeitung in der Schweiz schreibt nach der 1:2-Niederlage in Prag gegen Tschechien von einem mentalen Problem innerhalb der Nati. Dürfen sie das? Selber in der Medienbranche arbeitend kann ich diese Frage klar beantworten: Ja, natürlich dürfen sie. Haben diese Journalisten die Kompetenz, dies fachlich richtig zu beurteilen? Ich denke nicht. Trotzdem tun sie es. Das ist ein grosses Problem ganz grundsätzlich im Sport.

Selbst habe ich als Print-Journalist mehrere Male verschiedensten Sportlern das Mikrophon hergehalten, um sie über die unterschiedlichsten Dinge zu befragen. Immer wieder mit demselben Ziel: Ein toller Titel muss her. Ein toller Inhalt. Eine tolle Story eben. Und ganz wichtig: Immer schreiben, was ist. Journalisten dürfen überspitzte Formulierungen brauchen, Titel dürfen, ja sie müssen oft überspitzt dargestellt sein, um den Leser in den Text zu führen. Das oben erwähnte mentale Beispiel ist jedoch eine ganz andere Dimension. Ich wechsle die Rolle vom Journalisten zum Sport Mental-Coach und Dozent an der Sport Mental Akademie in Zürich und wage die Gegenfrage an die Journalisten: Was ist denn eigentlich Mentalität? Woran erkennt ein Sportjournalist, ob ein Sportler oder ein Team eine mentale Blockade hat? Und: Was ist eine mentale Blockade? Ich bin überzeugt, dass diese Frage nur eine Minderheit von Sport-Journalisten beantworten können. Dennoch schreiben sie unzählige Geschichten über dieses Thema. Das verwirrt mich.

Journalismus im Sport ist oft schwarz oder weiss. Die Fussball-Nati dient hier wiederum als ideales Beispiel. Wir erinnern uns zurück an den Juni 2021. Die Schweiz geht in Rom gegen Italien in der EM-Gruppenphase mit 0:3 unter. Der mediale Prügel setzt ein. Für viele Schweizer ist klar: Die Mentalität stimmt in diesem Team nicht. Wenige Tage später feiern dieselben (!) Medienschaffenden die Nati um Goalie Yann Sommer für den Viertelfinal-Einzug nach dem Coup gegen Frankreich. Hat die Nati nun einen mentalen Prozess in wenigen Tagen gemacht? Ist nun alles wieder rosa? Das geht mir zu schnell. Viele Medienschaffende sehen den Prozess nicht. Noch schlimmer: Sie wollen ihn nicht sehen, aber sie wollen ihn kommentieren. Schwarz oder weiss eben. Sieg oder Niederlage. Das ist unseriös.

Mental starke Sportler können damit umgehen. Sie gehen in Rollenspiele mit Journalisten im Wissen, dass beide sich gegenseitig brauchen. Provokationen lassen sie kalt. Das ist dennoch nicht einfach für Athleten. Sie sind oft in einem Prozess. Genau in dem Prozess, den ein Journalist nicht sieht. Der Rückschritt beispielsweise ist ein Teil eines positiven Entwicklungs-Prozesses. Es gibt keinen erfolgreichen Sportler, der nicht mehrere heftige Rückschläge erlebt hat. Viele sind daran gewachsen. Wohl kein Journi hat je darüber berichtet. Weil es nicht relevant für ihn ist und er diese Art von Prozess nicht erkennen will. Die gezielte Wettkampfvorbereitung mit dem Eintauchen in die leistungserbringende Rolle lernen Sportler, die mental reifen wollen. Ein Journalist weiss meist nicht, was in dieser Situation mit einem Athleten passiert. Er schreibt dann auch mal, ein Team wäre nicht fokussiert gewesen. Nicht wissend, dass das ganze Thema rund um den Fokus in einem Fussballspiel – mit Ausnahme eines stehenden Balles – gar nicht stattfinden kann. Fokus braucht ein Fussballspieler in weit über 90 Prozent von einem Spiel nicht. Ich provoziere meine Berufskollegen: Wissen Journalisten, dass gerade ein Fussballspieler 90 Minuten auf dem Platz stehen kann und sich dabei maximal 15 bis 20 Minuten konzentrieren muss um optimal zu performen? Ein mental überragender Spieler macht das so. Nein, Journalisten wissen das nicht und müssen es auch nicht wissen. Problematisch ist es, dass sie darüber schreiben. Leider viel zu oft auf Kosten von ambitionierten Sportlern.